Sonntag, 6. März 2011

Die Farbenfabrik

Als ich 18 Jahre alt war, arbeitete ich für einige Monate in einer Farbenfabrik. Meistens hatte ich im Freien zu tun und dafür war ich dankbar, denn wenn ich nicht damit beschäftigt war, verrostete Container von innen mit Abbeizer zu säubern, machten mir die Chemikalien dort weniger zu schaffen. Nur die Pfützen mit Verdünnung, durch die man auf dem ganzen Gelände lief, kosteten mich ein Paar Schuhe. Damit konnte ich leben, denn immerhin verdiente ich über 11 Mark in der Stunde und es sollte Jahre dauern, bis ich wieder einen so guten Lohn bekam.

Am Rand des Geländes gab es eine Wiese, auf der Unmengen von leeren Fässern standen, die zu entsorgen zu teuer war und die nur sehr sporadisch von Zulieferern mitgenommen wurden. Eines Tages bekam ich den Auftrag, gemeinsam mit einem Kollegen lange Holzpfosten in den Boden zu schlagen, zwischen welchen die Fässer liegend gestapelt werden konnten.

Auf einem Fass stehend den Vorschlaghammer zu schwingen ist eine üble Knochenarbeit. Noch viel übler ist diese Arbeit, wenn es regnet. Regen war keine gültige Ausrede, um sich vor der Arbeit zu drücken. Und es regnete richtig.

Bald sah ich nichts mehr, meine Füße rutschten auf dem Fass und meine Muskeln schmerzten von der Anspannung, die nötig war, um den nassen Hammerstiel zu halten. Einigermaßen trocken war nur noch das Geräusch, mit dem der Hammer auf das Holz traf.
Aber ich war 18 Jahre alt und ein 18jähriger verfügt noch über Kraftreserven, mit denen er sich selbst überraschen kann. Diese Kraft zu spüren bedeutete, das Leben zu spüren. Diese Kraft war das Leben.

Die Arbeit wurde fertig und wenig später war ich mit dem Job in der Farbenfabrik fertig und für mich begann ein neuer Lebensabschnitt.

Die Geschichte liegt nun 30 Jahre zurück und obwohl mir meine Augen und meine Gelenke zu schaffen machen, ist noch genug von der alten Kraft vorhanden. Ich bin nie reich oder wichtig geworden, aber wenn ich in den Bergen bin und der Regen prasselt in mein Gesicht, spüre ich einen Reichtum, der mit Geld nicht zu bezahlen ist. Dann spüre ich das Leben und wenn ich es eines Tages nicht mehr spüre, habe ich es zumindest gespürt.


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