Sonntag, 6. März 2011

Von schwarzen Schafen

      Ein schwarzes Schaf in einer Herde ist, nun ja, putzig. Kinder und Stadtmenschen zeigen mit dem Finger darauf und lassen sich von den süßen Tierchen zu Ausrufen des Entzückens hinreißen.

      Bauer Lempke nahm das zur Kenntnis und konnte es sich leisten, unter vielen nützlichen Tieren auch solche zu umsorgen, deren Wolle wertlos war. Umso größer die Herde, umso mehr schwarze Schafe vertrug sie. Doch wenn die Herde nicht gesund war und schrumpfte, waren es nicht unbedingt die schwarzen Schafe, die gefördert wurden.

      Es begab sich aber zu der Zeit, als es Bauer Lempkes Herde besonders gut ging, dass den schwarzen Schafen die Aufmerksamkeit bewusst wurde, die man ihnen schenkte. Fachleute in Sachen Schafzucht und Wollverarbeitung sahen zwar mit gerümpften Nasen über sie hinweg und machten nach wie vor die Qualität der Wolle zum Maßstab ihrer Beachtung, doch für dumme Schafe war pure Masse schon immer von höherem Wert, als echte Kompetenz.

      Bald taten sich die schwarzen Schafe zusammen und fühlten sich unglaublich wichtig. Wer unangenehm auffiel, musste schließlich sonst nichts mehr leisten, um bewundert zu werden. Also gründeten sie innerhalb der Herde eine Gemeinschaft, die sich dreist „Die Wölfe“ nannte. Echte Wölfe waren nämlich in Bauer Lempkes Gegend höchst selten. Und wenn sich ein echter Wolf unter die Schafe mischte, pflegte er sich mit einem besonders prächtigen weißen Schafspelz zu tarnen. Weiße Schafe standen immerhin in einem hohen Ansehen und genossen ihr Leben ohne Angst vor dem Metzger.

      Wonach sich die schwarzen Schafe „Wölfe“ nannten, fiel es den echten Wölfen noch leichter, sich ungestört unter den Schafen zu bewegen. Sie mussten sich nicht mehr mit weißer Wolle tarnen. Statt dessen verkauften sie den Schafen billige Wolfskostüme. Besonders die jungen Schafe fielen darauf herein. Die Speisekammern der Wölfe platzten bald aus allen Nähten, doch besonders kluge Wölfe sahen, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein konnte und behielten ihre weißen Schafspelze als Tarnung. Zuerst wurde ihnen die Arbeit noch leichter gemacht, denn die Schafe, die sich nun „Wölfe“ nannten, bestanden auf Gleichbehandlung in der Herde und führten sich besonders dreist auf.

      Eines Tages sah der Bauer Lempke, dass sich Wölfe vollkommen ungestört unter seinen Schafen bewegten. „Blöde Viecher“, dachte er und holte sein Gewehr. Er erschoss jeden einzelnen Wolf und verbrannte die Kadaver. Muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass dem Gewehr des Bauern kein echter Wolf zum Opfer fiel? Blöde Viecher!





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