Sonntag, 6. März 2011

Tod in den Wäldern



„Verdammt!“ fluchte der junge Mann, „mein Nachbar, um den ich mich für ein paar Jahre gekümmert habe, ist verstorben und hat mir Haus und Auto hinterlassen. Hat er sicher gut gemeint. War noch etwas Grundschuld drauf, aber nicht so viel, dass das Haus keinen Wert mehr gehabt hätte. Doch wonach ich alle Formalitäten erledigt und alle Steuern bezahlt hatte, schnitt mein Bankkonto hässliche Fratzen und ich musste mich beeilen, alles zu verkaufen.“
„Konntest du das nicht ausrechnen, bevor du das Erbe angetreten hast?“ wollte der alte Mann wissen.
„Konnte ich nicht,“ sagte der junge Mann, „denn man bekommt erst Einblick in die Papiere, wenn man das Erbe annimmt.“
„Da kannst du aber froh sein, dass du nicht noch für die Beerdigung aufkommen musstest,“ schmunzelte der Alte, „wir Leute in den Wäldern wissen zum Glück, wie man diesen Behördendreck umgeht.“
„Ach, ihr Leute in den Wäldern seid doch arme Schlucker. Die Hälfte von euch ist nicht registriert und ihr könnt froh sein, wenn die Behörden eure armseligen Unterkünfte nicht finden. Hast du etwa etwas zu vererben? Du hast ja nicht einmal ein Bankkonto!“
„Nein, ein Bankkonto habe ich nicht,“ grübelte der alte Mann, „nur etwas geerbten Familienschmuck und ein paar bescheidene Ersparnisse, die ich in Gold- und Silbermünzen angelegt habe. Zwei kleine Schatzkisten habe ich in den Bergen versteckt.“
„Zwei?“ wunderte sich der junge Mann.
„Ja,“ erklärte der Alte weiter, „und die passenden Schatzkarten hat ein zuverlässiger Freund im Ausland. Du weißt ja, dass mein Junior in die Stadt gezogen ist, um sich die Hörner abzustoßen. Welche der beiden Kisten er erbt, hängt davon ab, ob er lernt, vernünftig mit Geld umzugehen.“
„Wieso? Was unterscheidet die Kisten?“
„Nun, wenn er ordentlich wirtschaftet, bekommt er die Kiste mit dem Familienschmuck, den Münzen und einer Bibel.“
„Und wenn nicht?“ Der junge Mann war nun richtig neugierig.
„Dann bekommt er die andere Kiste. Kein Familienschmuck. Keine Münzen. Nur eine Bibel. Und mein kleines Vermögen ist so gut versteckt, dass es frühestens in 100 Jahren durch Zufall entdeckt wird. Dem Finder wünsche ich viel Spaß damit.“
Der junge Mann staunte über so viel Gerissenheit. „Aber wie haltet ihr es in den Wäldern mit den Bestattungen? So etwas kostet Geld und man kann keine Leiche ohne Papiere in die Stadt karren, ohne sich verdächtig zu machen.“
„Nein, eine Bestattung kostet kein Geld, denn jeder gesunde Mann kann ein Loch graben und einen Sarg aus ein paar Brettern machen,“ sagte der Alte bestimmt. „Nur der Pastor bekommt etwas.“
„Illegale Bestattungen in den Wäldern? Welcher Pastor macht das mit?“ fragte der junge Mann ungläubig.
„Unser Pastor ist eigentlich ein Forstwirt, der irgendwann entschied, dass die Leute in den Wäldern auch ein Recht auf geistlichen Beistand haben. Wenn sie kein Geld für ein legales Begräbnis auf dem städtischen Friedhof besitzen, sollen sie ihre Toten trotzdem nicht wie Hunde verscharren müssen. Er macht eine gute Arbeit. Als er letzte Woche, beim Begräbnis meines Vetters Jakob, den 23. Psalm las, wussten wir, dass wir alles richtig machen. Wir haben dem Pastor ein Huhn gegeben, doch der Arzt hat vorher schon ein Schwein gekostet. Die Witwe hat nun wieder ein Ferkel, das sie großziehen wird.“
„Du flunkerst doch!“ sagte der Junge, „dass ihr Leute in den Wäldern euer eigenes Ding macht, weiß ich ja schon länger, aber dass ihr seit Jahren eure Toten dort draußen begrabt, kann ich mir nicht vorstellen.“
Der Alte grinste ihn an: „Natürlich flunkere ich. Aber nur ein kleines bisschen und es steckt noch zu viel Wahrheit in der Geschichte, um mich einen Lügner zu nennen. Wer sucht, der findet, steht geschrieben aber es steht auch geschrieben, dass man Perlen nicht vor die Säue werfen soll.”

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