„Verdammt!“ fluchte der junge Mann,
„mein Nachbar, um den ich mich für ein paar Jahre gekümmert
habe, ist verstorben und hat mir Haus und Auto hinterlassen. Hat er
sicher gut gemeint. War noch etwas Grundschuld drauf, aber nicht so
viel, dass das Haus keinen Wert mehr gehabt hätte. Doch wonach
ich alle Formalitäten erledigt und alle Steuern bezahlt hatte,
schnitt mein Bankkonto hässliche Fratzen und ich musste mich
beeilen, alles zu verkaufen.“
„Konntest du das nicht ausrechnen,
bevor du das Erbe angetreten hast?“ wollte der alte Mann wissen.
„Konnte ich nicht,“ sagte der junge
Mann, „denn man bekommt erst Einblick in die Papiere, wenn man das
Erbe annimmt.“
„Da kannst du aber froh sein, dass du
nicht noch für die Beerdigung aufkommen musstest,“ schmunzelte
der Alte, „wir Leute in den Wäldern wissen zum Glück, wie
man diesen Behördendreck umgeht.“
„Ach, ihr Leute in den Wäldern
seid doch arme Schlucker. Die Hälfte von euch ist nicht
registriert und ihr könnt froh sein, wenn die Behörden eure
armseligen Unterkünfte nicht finden. Hast du etwa etwas zu
vererben? Du hast ja nicht einmal ein Bankkonto!“
„Nein, ein Bankkonto habe ich nicht,“
grübelte der alte Mann, „nur etwas geerbten Familienschmuck
und ein paar bescheidene Ersparnisse, die ich in Gold- und
Silbermünzen angelegt habe. Zwei kleine Schatzkisten habe ich in
den Bergen versteckt.“
„Zwei?“ wunderte sich der junge
Mann.
„Ja,“ erklärte der Alte
weiter, „und die passenden Schatzkarten hat ein zuverlässiger
Freund im Ausland. Du weißt ja, dass mein Junior in die Stadt
gezogen ist, um sich die Hörner abzustoßen. Welche der
beiden Kisten er erbt, hängt davon ab, ob er lernt, vernünftig
mit Geld umzugehen.“
„Wieso? Was unterscheidet die
Kisten?“
„Nun, wenn er ordentlich
wirtschaftet, bekommt er die Kiste mit dem Familienschmuck, den
Münzen und einer Bibel.“
„Und wenn nicht?“ Der junge Mann
war nun richtig neugierig.
„Dann bekommt er die andere Kiste.
Kein Familienschmuck. Keine Münzen. Nur eine Bibel. Und mein
kleines Vermögen ist so gut versteckt, dass es frühestens
in 100 Jahren durch Zufall entdeckt wird. Dem Finder wünsche ich
viel Spaß damit.“
Der junge Mann staunte über so
viel Gerissenheit. „Aber wie haltet ihr
es in den Wäldern mit den Bestattungen? So etwas kostet Geld und
man kann keine Leiche ohne Papiere in die Stadt karren, ohne sich
verdächtig zu machen.“
„Nein, eine Bestattung kostet kein
Geld, denn jeder gesunde Mann kann ein Loch graben und einen Sarg aus
ein paar Brettern machen,“ sagte der Alte bestimmt. „Nur der
Pastor bekommt etwas.“
„Illegale Bestattungen in den
Wäldern? Welcher Pastor macht das mit?“ fragte der junge Mann
ungläubig.
„Unser Pastor ist eigentlich ein
Forstwirt, der irgendwann entschied, dass die Leute in den Wäldern
auch ein Recht auf geistlichen Beistand haben. Wenn sie kein Geld für
ein legales Begräbnis auf dem städtischen Friedhof
besitzen, sollen sie ihre Toten trotzdem nicht wie Hunde verscharren
müssen. Er macht eine gute Arbeit. Als er letzte Woche, beim
Begräbnis meines Vetters Jakob, den 23. Psalm las, wussten wir,
dass wir alles richtig machen. Wir haben dem Pastor ein Huhn gegeben,
doch der Arzt hat vorher schon ein Schwein gekostet. Die Witwe hat
nun wieder ein Ferkel, das sie großziehen wird.“
„Du flunkerst doch!“ sagte der
Junge, „dass ihr Leute in den Wäldern euer eigenes Ding macht,
weiß ich ja schon länger, aber dass ihr seit Jahren eure
Toten dort draußen begrabt, kann ich mir nicht vorstellen.“
Der
Alte grinste ihn an: „Natürlich flunkere ich. Aber nur ein
kleines bisschen und es steckt noch zu viel
Wahrheit in der Geschichte, um mich einen Lügner zu nennen. Wer
sucht, der findet, steht geschrieben aber es steht auch geschrieben,
dass man Perlen nicht vor die Säue werfen soll.”
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