Lesen und Schreiben habe ich mir als
Vierjähriger selbst beigebracht. Das ist nichts Besonderes. Wir
lernen ja auch das Sprechen ohne Lehrer und in meiner Familie wurde
viel gelesen. Nur im Kindergarten war ich deshalb schon so anders,
dass ich dafür verprügelt wurde. Als ich zur Schule kam,
hat man mir erzählt, dass nun Schreibschrift angesagt sei. Weil
ich noch nie ein Buch oder eine Zeitung in Schreibschrift gesehen
hatte, verlor ich schon im ersten Schuljahr jedes Interesse an
Schulbildung. Dafür wurde ich zum Literaturjunkie und verbrachte
die Nächte heimlich mit den Büchern meines Vaters. Zuerst
die Jugendliteratur. Dann die Krimis und Western. Die Klassiker in
den Reader's Digest Ausgaben. Und anschließend waren die Bücher
über Geschichte und Politik nicht mehr vor mir sicher. Das hatte
zur Folge, dass ich in der Schule nicht besonders ausgeschlafen
aussah. Mein Mathematiklehrer hielt mich jedenfalls für geistig
zurückgeblieben und meinte, man könne mir nichts
beibringen. So hat er es jedenfalls meinen Klassenkameraden erklärt.
War aber nicht weiter schlimm, weil ich eine nette Lehrerin in der
Nachbarschaft hatte, die mich Rechnen lehrte. So kam es, dass ich die
Schule, in der ich nichts gelernt hatte, außer ein harter Hund
zu werden, den niemand mehr verprügelte, nach neun Jahren mit
einem gut durchschnittlichem Zeugnis verlassen konnte.
Heute werde ich mit jungen Menschen
konfrontiert, die einen Schulabschluss bekommen, ohne einen
fehlerfreien Satz schreiben zu können. Sie wissen nichts von
Flächenberechnung und obwohl ihr Englischunterricht schon in der
Grundschule beginnt, verstehen sie kein Englisch. Und dass man ihnen
inzwischen den Gebrauch von Kondomen beibringt,
bevor sie überhaupt Haare am Sack haben, wird die Anzahl
alleinerziehender Mütter auch nicht
senken.
Ich bin bildungsfern und stolz darauf.
Ich weiß immer noch nicht, wie man ein Mobiltelefon bedient,
aber ich kann ohne Grillanzünder Feuer
machen. Und ich werde nicht müde, es zu wiederholen:
Man
benötigt eine gewisse Bildungsferne, um die Verkommenheit
unseres Bildungssystems zu durchschauen.
Copyright © 2018 by Holger Pinter. Alle Rechte vorbehalten.
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