Sonntag, 6. März 2011

Bildung

Lesen und Schreiben habe ich mir als Vierjähriger selbst beigebracht. Das ist nichts Besonderes. Wir lernen ja auch das Sprechen ohne Lehrer und in meiner Familie wurde viel gelesen. Nur im Kindergarten war ich deshalb schon so anders, dass ich dafür verprügelt wurde. Als ich zur Schule kam, hat man mir erzählt, dass nun Schreibschrift angesagt sei. Weil ich noch nie ein Buch oder eine Zeitung in Schreibschrift gesehen hatte, verlor ich schon im ersten Schuljahr jedes Interesse an Schulbildung. Dafür wurde ich zum Literaturjunkie und verbrachte die Nächte heimlich mit den Büchern meines Vaters. Zuerst die Jugendliteratur. Dann die Krimis und Western. Die Klassiker in den Reader's Digest Ausgaben. Und anschließend waren die Bücher über Geschichte und Politik nicht mehr vor mir sicher. Das hatte zur Folge, dass ich in der Schule nicht besonders ausgeschlafen aussah. Mein Mathematiklehrer hielt mich jedenfalls für geistig zurückgeblieben und meinte, man könne mir nichts beibringen. So hat er es jedenfalls meinen Klassenkameraden erklärt. War aber nicht weiter schlimm, weil ich eine nette Lehrerin in der Nachbarschaft hatte, die mich Rechnen lehrte. So kam es, dass ich die Schule, in der ich nichts gelernt hatte, außer ein harter Hund zu werden, den niemand mehr verprügelte, nach neun Jahren mit einem gut durchschnittlichem Zeugnis verlassen konnte.

Heute werde ich mit jungen Menschen konfrontiert, die einen Schulabschluss bekommen, ohne einen fehlerfreien Satz schreiben zu können. Sie wissen nichts von Flächenberechnung und obwohl ihr Englischunterricht schon in der Grundschule beginnt, verstehen sie kein Englisch. Und dass man ihnen inzwischen den Gebrauch von Kondomen beibringt, bevor sie überhaupt Haare am Sack haben, wird die Anzahl alleinerziehender Mütter auch nicht senken.

Ich bin bildungsfern und stolz darauf. Ich weiß immer noch nicht, wie man ein Mobiltelefon bedient, aber ich kann ohne Grillanzünder Feuer machen. Und ich werde nicht müde, es zu wiederholen:

Man benötigt eine gewisse Bildungsferne, um die Verkommenheit unseres Bildungssystems zu durchschauen.





Copyright © 2018 by Holger Pinter. Alle Rechte vorbehalten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen