Sonntag, 6. März 2011

Der König und der Prahlhans

Es war einmal ein König, in dessen Reich alles recht ordentlich seinen Gang ging. Das funktionierte so gut, weil sich der König nicht mehr als nötig in die Belange seiner Untertanen einmischte. Es gab wenige Gesetze, die Respekt vor Leben und Eigentum der Bürger forderten, es gab eine Polizei, die über die Einhaltung der Gesetze wachte und es gab eine Armee, die das Reich vor Mördern und Dieben von außen schützte. Viel mehr brauchte man nicht und so konnte der König es sich und seinen Hofstaat gut gehen lassen und trotzdem die Steuern niedrig halten. Die Verwaltung blieb überschaubar und alle waren zufrieden.
       Eines Tages begab es sich, dass der König den Wunsch hatte, mehr über seine Untertanen zu erfahren. Er ließ sich ein einfaches Gewand fertigen und quartierte sich in einem Dorfgasthof ein.
       Am ersten Abend trank der König mit einem Winzer.
      „Ei," dachte der König, „es macht Freude, einen Menschen über die Arbeit sprechen zu hören, von der er etwas versteht. Wohl bin ich ein guter Diplomat und finde in der richtigen Gesellschaft die richtigen Worte. Auch vermag ich einen guten Wein von einem schlechten zu unterscheiden, doch wie man einen Weinberg anlegt, davon weiß ich nichts. Vor diesem Mann habe ich Respekt."
       Am zweiten Abend trank der König mit einem Soldaten.
      „Ei," dachte der König, „es macht Freude, einen Menschen über die Arbeit sprechen zu hören, von der er etwas versteht. Wohl kann ich meinen Generälen folgen, wenn sie mir ihre Strategien erklären, mit denen sie einen Feind zurückschlagen wollen und ich vermag zu entscheiden, welche Strategie richtig ist, doch wie man selbst das Schwert schwingt, davon verstehe ich nichts. Vor diesem Mann habe ich Respekt."
       Am dritten Abend trank der König mit einem Mann namens Hans. Der war ein Winzer im Winter und ein Soldat im Frieden und der Winzer und der Soldat nannten ihn den „Prahlhans", weil er immer nur redete und keine Arbeit zuende brachte. Der Prahlhans hatte vor keiner Leistung Respekt, weil er selbst nie etwas geleistet hatte.
       „Der König," sagte er, „sitzt immer nur in seinem feinen Gewand auf dem Thron. Wenn mir nur jemand 100 Goldtaler borgen würde, wollte ich die Baroness heiraten und es auch so halten."
       Da sprach der König:
      „Zufällig ist der Chef der königlichen Bank mein Freund. Ich will mich dafür einsetzen, dass du die 100 Goldtaler bekommst. Aber ich fürchte, du wirst 10 Prozent Zinsen im Monat bezahlen müssen."
      „Kein Problem," rief Hans, „in wenigen Tagen bin ich reich!"
       Der König besorgte die 100 Taler und Hans ließ sich davon eine Krone anfertigen, die doppelt so groß war, wie die Krone des Königs. Doch als er mit diesem lächerlichen Gebilde auf dem Kopf an die Tür der Baroness klopfte, lachte ihn der Kammerdiener aus und jagte ihn vom Hof.
       Am nächsten Abend klagte er dem König sein Leid:
      „Dieses Mal habe ich eine ganz sichere Idee. Wenn mir nur jemand 1.000 Taler borgen würde, könnte ich der Gräfin den Hof machen."
      „Ich will dafür sorgen," erwiderte der König, „dass der Bankier des Königs, der zufällig mein Freund ist, dir 1.000 Taler zur Verfügung stellt. Aber ich fürchte, der Zinssatz ist seit gestern auf 20 Prozent gestiegen."
      „Kein Problem," rief Hans, „in wenigen Tagen bin ich reich!"
       Nun ließ sich Hans eine Kutsche anfertigen, mit der er die Gräfin beeindrucken wollte. Die Kutsche des Königs hatte ein goldenes Wappen auf der Rückseite, also ließ Hans Goldverzierungen auf allen Seiten anbringen. Dadurch wurde der Wagen so schwer, dass sechs statt vier Pferde nötig waren, um ihn vom Fleck zu bewegen. Unnötig zu erzählen, dass er mit diesem Angeberfahrzeug nicht bis zur Gräfin vorgelassen wurde.
       Am nächsten Abend saß Hans wieder mit dem König am Tisch des Gasthofs.
      „Man muss mir noch eine Chance geben," drängte er, „1.100 Taler in Gold und ich verabrede mich mit der Tochter des Königs!"
       Der König zog eine königliche Augenbraue hoch und fragte sich, ob der Spaß nicht zu weit ginge. Aber nein, entschied er, die Prinzessin würde keiner Gefahr ausgesetzt und der Prahlhans bekäme seine Lektion.
      „30 Prozent," sagte er nur.
      „Kein Problem," rief Hans, „in wenigen Tagen bin ich reich!"
       Inzwischen war sogar dem Prahlhans aufgefallen, dass man Geschmack nicht kaufen konnte. Deshalb ging er zum Schneider und kaufte diesem das Gewand ab, welches der auf dem Leibe trug. Anschließend investierte er 1.000 Taler in eine Kutsche, die der königliche Stallmeister in Auftrag gegeben hatte. Nach ein paar Stunden sprach das ganze Land von dem Kavalier, der mit des Königs Tochter zum Essen verabredet war und der König trat die Heimreise an, weil er wissen wollte, wie die Geschichte ausging.
       Die Prinzessin lief ihm am Abend in der Halle entgegen.
       „Vater," rief sie, „der Kerl sah ja toll aus und als er sich den Krug Wein über das Gewand goss, habe ich noch gelacht. Aber als er versuchte, mit Messer und Gabel zu essen, wurde mir so schlecht, dass ich ihn hinauswerfen ließ."
       Da lachte der König und sagte:
      „Ich wusste es. Selbst wenn eines Tages alle Freiherren des Reiches Bücher über Benehmen schreiben sollten, bleibt ein Prahlhans stets ein Prahlhans."
       Tags darauf bat eben jener Prahlhans um eine Audienz. Als er dem König gegenüber stand, erkannte er diesen jedoch nicht. Hans blieb eben ein oberflächlicher Mensch, der in dem Mann auf dem Thron unmöglich den Mann im einfachen Gewand erkennen konnte, mit dem er im Gasthaus getrunken hatte.
      „Ich kann nichts dafür," weinte Hans, während er sich auf die Knie warf.
      „Ich muss der königlichen Bank mehr Geld zurückzahlen, als ich verdienen kann. Ich bitte um Gnade!"
      „Nein," entschied der König weise, „du sollst für den Rest deines Lebens von früh bis spät schuften und bis an das Ende deiner Tage nur noch das Notwendigste zum Leben haben!"
       So geschah es. Hans wurde am Morgen der Helfer des Winzers und am Abend der Diener des Soldaten. Ihm verging sogar das Prahlen.
       Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.






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